Ruth Hagengruber Seminar Winter 22_23 Mensch_Maschine_Musse:
Menschliche Obsoleszenz – Arbeit und Automatisierung im Spannungsverhältnis von Dennis Eller
Automation used to mean ,big stupid machines doing repetitive work in factories‘; today they can land aircraft, diagnose cancer and trade stocks. We are entering a new age of automation, unlike anything that’s come before. According to a 2013 study, almost half of all jobs in the US could potentially be automated in the next two decades.“ (Kurzgesagt – In a nutshell (2017))
Die Frage nach Automatisierung birgt längst mehr Befürchtungen als Hoffnungen, in den Augen vieler Menschen. Während Automatisierung im Verlauf der Industrialisierung noch bedeutete, dass ,dumme‘ Maschinen dem Menschen repetitive Aufgaben abnahmen, ist die Entwicklung automatischer Systeme heute so weit vorangeschritten, dass besonders eine Frage in den Vordergund tritt: Wie lange mag es (noch) dauern, bis Maschinen verschiedene Berufe besser ausüben werden, als Menschen (vgl. Kurzgesagt 2017); oder anders ausgedrückt, wie lange mag es wohl dauern, bis Menschen in vielen Bereichen obsolet sind? Eine Oxford-Studie von 2013 postuliert, dass ungefähr 47% aller US-Arbeitsplätze „at risk“ sind, wobei 702 detaillierte Berufe betrachtet wurden (vgl. Frey & Osborne 2013, 1). Während die Studie versuchte zu quantifizieren, wie sich jüngste technologische Entwicklungen auf den Berufsmarkt auswirkten (vgl. Frey & Osborne 2013, 3), prognostizierte sie gleichzeitig auch präzise Entwicklungen, die nach dem Erscheinen der Studie auch tatsächlich eintraten, weswegen sie nach wie vor als akkurate Prognose angesehen wird.
Benannt wird in der Studie als technisch immanente „Grenze“ der Computerisierung die Computerisierbarkeit potenziell (zu) abstrakter Probleme (d.h. Probleme, die nicht einfach via Computercode ausgedrückt werden können), wobei die Studie merklich weit vorausgriff. Bereits im Jahr 2013 benennen Frey und Osborne die (damals noch) anstehenden Fortschritte in Machine Learning und verwanten Feldern, welche für die Spezifizierung und somit Computerisierbarkeit von Problemen und Aufgaben bedeutete, dass nun auch Aufgaben, welche „subtiler Urteile“ bedürfen, potenziell von Algorithmen bearbeitet werden können (vgl. Frey & Osborne 2013, 14– 18).
Arbeitsplätze im Wandel – eine kurze Historie
Technologische Entwicklungen unterwerfen den Arbeitsmarkt von jeher einem stetigen Wandel. Die Historie dieses Wandels wird u.a. auch in einem millionenfach aufgerufenen Video des Kanals „CGP Grey“ illustriert: Durch Mechanisierung wurde die Landwirtschaft zunehmend optimiert, „physische Muskeln“ mit „mechanischen Muskeln“ ersetzt, physische Arbeit reduziert zu dem Punkt, an welchem Millionen von Arbeitsplätzen verschwanden – diese wurden dann durch Fabrikarbeit ersetzt, bis Automatisierung und Globalisierung diese wiederum in neuere Service-Berufe verschoben (CGP Grey 2014; Ford 2015, ix – x). Während dieser Übergänge kam es zu Arbeitslosigkeit, welche jedoch bis dato nicht zu einem permanenten Problem wurde, da neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, welche angetreten werden konnten (vgl. Ford 2015, x). Am 2. Januar 2010 berichtete die Washington Post, dass in den letzten zehn Jahren keine neuen Arbeitsplätze geschaffen worden wären, während allein die Kreation rund einer Million eben dieser nötig wären, um die (US-) Bevölkerung zu decken, also insgesamt (bereits 2010) von 10 Millionen „fehlenden“ Arbeitsplätzen ausgegangen werden konnte (vgl. Ford 2015, xi). Die Revolutionen der Arbeitswelt waren auch immer begleitet vom Erscheinen ,neuer‘ Berufe, welche vorher schlicht nicht existierten (vgl. u.a. Ford 2015, xi); besonders im Bereich der sozialen Medien, z.B. im und um das Phänomen der „Influencer“ sind gänzlich neue Tätigkeitsfelder entstanden (zu diesem Thema und den damit verbundenen Problematiken empfielt sich Nymoen & Schmitt 2021: Influencer). Es ist allerdings ziemlich sicher, dass diese neuen Tätigkeiten nicht im Ansatz ausreichen, um dem größeren Trend entgegenzuwirken – dies wurde durch die jüngsten Prävalenzen neuer KIs (z.B. DALL-E, ChatGPT) nur umso deutlicher. Während bereits die primär physischen Tätigkeiten stetige Ersetzung durch „mechanische Muskeln“ erfahren, ist an den derzeitigen Prozessen besonders, dass nun auch die bisher dem Menschen vorbehaltenen, mentalen Tätigkeiten durch „mechanischen Verstand“ der Computerisierung ausgesetzt sind (vgl. u.a. CGP Grey 2014). Die auch von CGP Grey behandelte Prognose Gordon Moores (oft als das „Moore’sche Gesetz“ bezeichnet) – nach welcher sich die Komplexität (d.h. konkret Rechenkapazität) mit minimalen Komponentenkosten jährlich um den Faktor zwei erhöhen dürfte – erwies sich nahezu ein halbes Jahrhhundert lang als akkurat (vgl.Brynjolfsson & McAfee 2015, 54 – 55). Im heutigen „zweiten Maschinenzeitalter“ jedoch, sind diese früheren Entwicklungsschemata nicht länger verlässliche Indikatoren für weitere Entwicklungen. Vorhersagen werden so zunehmend schwieriger, weswegen wir uns also darauf einstellen müssen, dass wir die Veränderungen (noch) weniger akkurat vorhersagen können, als
bisher (vgl. Brynjolfsson & McAfee 2015, 72). Sicher bleibt, dass sich der Arbeitsmarkt weiter wandeln wird – ein Umstand, über den es in der Bevölkerung ein breites Bewusstsein gibt, wie die millionenfachen Aufrufe von z.B. einschlägigen Videos zum Thema illustrieren. Die ökonomischen Faktoren, d.h. die drohende ökonomische Prekarität infolge des Arbeitsmarktwandels, ist die eigentliche Priorität dahingehender Diskussionen, diese Entwicklung zu ignorieren, hätte in der Praxis sowohl individuell als auch gesellschaftlich, potenziell katastrophale Folgen. Konsequenter Weise werden Diskussionen über Schritte, etwa über ein „allgemeines Grundeinkommen“ vermehrt geführt. Es müssen allerdings stets die drohenden (öknomischen) Konsequenzen notwendig benannt werden, bevor andere Diskussionen
(wie z.B. die nachfolgende) zu dieser Thematik geführt werden.
Aussichten und philosophische Angebote des Umdenkens
Eine zunehmend automatisierte/computerisierte Arbeitswelt steht uns also ziemlich sicher bevor – ohne viel, was (realistisch) gegen diese Entwicklung getan werden könnte: Sich diesem Wandel fundamental entgegenzustellen scheint regelrecht töricht, ,vergebene Liebesmüh‘. Es verbleibt so noch die Frage, wie wir diesem Wandel philosophisch begegnen können, ihm mit Bezug auf uns selbst, als Teil der Arbeitswelt, gegenübertreten können. Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld plädieren in ihrem Buch Digitaler Humanismus (2018) für den namensgebenden Humanismus im Angesicht des digitalen Wandels, d.h. ihr Ansatz beinhaltet eine Abgrenzung sowohl von Apokalyptikern künstlicher Intelligenz (man siehe nur die Rezensionen zu Fords The Rise of the Robots, wo die Rede u.a. von „ökonomischem Armageddon“ oder „Massen-Obsoleszenz der menschlichen Belegschaft“ ist), als auch von KI-Euphorikern, welche sich von der „Silicon-Valley-Ideologie“ konvertieren lassen (vgl. Nida Rümelin & Weidenfeld 2018, 15 – 20). Es handelt sich also um einen Ansatz eines rationalen Umgangs mit technologischer Innovation, um einen Ansatz der, in den Worten der Autoren, „technik-, aber auch menschenfreundlich“ ist (Nida-Rümelin & Weidenfeld 2018, 15). Das Problem der umschriebenen „Silicon-Valley-Ideologie“ ist, dass diese humanistische Ideale d.h. etwaige Verbesserungen postuliert als der Menschheit als Ganzes zuträglich) als Ausgangspunkt nimmt, diese dann aber zu anti-humanistischen Utopien transformiert: Es beginnt mit Verbesserungen des Humanen (bzw. durch Augmentation), endet aber in dessen finaler Überwindung, dem Übergang vom Humanismus zum Transhumanismus (zu diesem Thema empfiehlt sich Manzocco 2019: Transhumanism) (vgl. Nida-Rümelin & Weidenfeld 2018, 22). Etwaige transhumanistische Euphoriker vertreten zudem oftmals die Annahme der sog. „starken KI“, nach welcher es keinen kategorischen Unterschied zwischen Mensch und Computer gäbe – eine Annahme, welche (bisher) in keinster Weise belegbar wäre (vgl. Nida-Rümelin & Weidenfeld 2018, 203 – 206). Als Angebot des Denkens genommen, ist digitaler Humanismus tendenziell hilfreich, sich in produktiv-realistischer Manier zu positionieren und nicht etwaigen, medial prävalenten Euphorien und/oder Dysphorien zu erliegen – Innovationen sollten demnach willkommen geheißen werden, ohne dass kritische Punkte und/oder Konsequenzen aus den Augen verloren werden.
Abgesehen von dem Umang mit Technologie allgemein, stellt sich die Frage, was aus unserem Verhältnis zu „Arbeit“ wird? Die politische Theoretikerin Hannah Arendt, fasst unter den Terminus Vita Activa drei „menschliche Grundtätigkeiten“: Die Arbeit, welche den biologischen Grundbedigungen des Körpers und derer Erfüllungen entspricht, das Herstellen, in welchem sich die künstliche Dingwelt – die Heimat menschlichen Lebens – manifestiert, sowie das Handeln, welches sich direkt zwischen Menschen abspielt, ermöglicht durch unsere fundamentale Pluralität (vgl. Arendt 2020, 23 – 24). Arendts Theorie illustriert, dass man eben Arbeit anders denken kann: Das, was wir „Arbeit“ nennen, kann unterschiedlich konzipiert werden, nämlich jenseits der prävelenten, stringent-ökonomischen Konzeption als notwendige „Erwerbstätigkeit“ auch als z.B. reduziert auf jene (biologische) nötigste Tätigkeit.
Arbeit ungleich Sinn – Der existenzialistische Ansatz
Ich möchte einen ,existenzialistischen Ansatz‘ vorstellen. Dieser soll an die vorigen Überlegungen anschließen; nicht via der Redefinition von Arbeit, aber dem effektiven Umdenken des eigenen Verhältnisses zu derselben. Da „Existenzialismus“ notorisch schwer zu definieren ist, ist die Rede hier stets vom Sartreschen Existenzialismus, welcher die Einflüsse der Phänomenologien von Husserl, Heidegger und Hegel in sich vereint (vgl. Kunzmann & Burkard 2017, 203). Der Fokus liegt hierbei darauf, was Sartre als das „erste Prinzip des Existentialismus“ postuliert: Beim Menschen geht die Existenz dem Wesen/der Essenz voraus, wodurch der Mensch für das, was er ist, verantwortlich ist (vgl. Sartre 2018, 150). Es handelt sich dadurch um einen humanistischen Ansatz – nicht unähnlich dem Nida-Rümelins – da vom Menschen als besonderen Fokalpunkt ausgegangen wird. Der Mensch ist, einem existenzialistischen Verständnis nach, nicht (wirklich) definierbar, weil er zunächst nichts ist – er ist nichts anderes als das, wozu er sich macht (vgl. Sartre 2018, 149 – 150). Wir sind indes für unsere Taten verantwortlich; diese Verantwortung ist dabei derart umfassend, dass sie (potenziell) die gesamte Menschheit betrifft, der „Mensch kann dem Gefühl seiner totalen und tiefen Verantwortung nicht entrinnen“ (Sartre 2018, 152). Hieraus speist sich Sartres wohl mitunter bekanntestes Zitat, welches zudem hier am relevantesten scheint: „[D]er Mensch ist dazu verurteilt frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut“ (Sartre 2018, 155).
Viel kann über Theorie und Bedeutung jener Kernüberlegungen des Existenzialismus gesagt werden, doch ist die thematische Relevanz hier in der Sinnfrage zu finden, welche wir mit dem Verhältnis zu ,Arbeit‘ verbinden. Auf einer philosophischen Basis kann – wie obig bereits vermerkt – die dringliche Angelegenheit drohender öknomischer Prekarität nicht wirklich adressiert werden. Was allerdings durchaus innerhalb der Möglichkeiten philosophischer Überlegungen liegt, ist die Prophylaxe einer resultierenden Sinnkrise durch den Verlust der
(potenziell) ,sinnstiftenden‘ Arbeit.
Dem obig umrissenen Ansatz existenzialistischen Denkens folgend, bestimmen wir uns konstant selbst, somit auch unseren jeweiligen Sinn; entsprechend kann gefolgert werden, dass man das Verhältnis schlicht umgekehrt betrachten sollte: Es ist nicht die Arbeit die uns einen Sinn gibt (sosehr das auch in manchem Marketing schön klingen mag), sondern wir sind es, die einer jedweden Tätigkeit, welche wir ,Arbeit‘ nennen, einen Sinn verleihen.
Aus dieser Perspektive kann dann auch keine Rede von einer menschlichen Obsoleszenz sein – dies würde eine vorhergehende Notwendigkeit voraussetzen, welche in sich menschengemacht ist. Wenn wir unseren eigenen Sinn und/oder ,Nutzen‘ stets redefinieren können, ist unnötiges Kopfzerbrechen über den Verlust einer singulären Möglichkeit dessen eben genau das – unnötig. Es kann also nur von einer Obsoleszenz ehemaliger Arbeit die Rede sein – wenn diese nicht mehr notwendig ist (d.h. obsolet), ist sie für uns eben auch keine Arbeit mehr und somit (für Zwecke einer Sinnstiftung) simultan (selbst-) definitorisch irrelevant.
Quellenverzeichnis
Arendt, Hannah (2020): Vita Activa oder Vom tätigen Leben, Meyer, Thomas (Übers.), München: Piper.
Brynjolfsson, Erik & McAfee, Andrew (2015): The Second Machine Age – Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird, ); Pyka, Petra (Übers.), 2. Auflage, Kulmbach: Börsenmedien AG. CGP Grey (2014): Humans Need Not Apply, verfügbar unter: https://youtu.be/7Pq-S557XQU, zuletzt abgerufen 25.12.2022 17:47.
Ford, Martin (2015): The Rise of the Robots – Technology and the Threat of Mass Unemployment, London: Oneworld Publications.
Frey, Carl Benedikt & Osborne, Michael A. (2013): The Future of Employment: How susceptible are Jobs to Computerisation?, in: Technological Forecasting and Social Change, Jg. 2017, Nr. 114, S. 254 – 280, online verfügbar (u.a.) unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0040162516302244, zuletzt abgerufen 24.12.2022 15:15.
Kunzmann, Peter & Burkard, Franz-Peter (2017): dtv-Atlas Philosophie, 17. Auflage, München: Dt. Taschenbuch-Verlag.
Kurzgesagt – In a nutshell (2017): The Rise of the Machines – Why Automation is different this time, verfügbar unter: https://youtu.be/WSKi8HfcxEk, zuletzt abgerufen 24.12.2022 15:35.
Manzocco, Roberto (2019): Transhumanism – Engineering the Human Condition, Cham: Springer.
Nida-Rümelin, Julian & Weidenfeld, Nathalie (2018): Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, München: Piper.
Nymoen, Ole & Schmitt, Wolfgang M. (2021): Influencer – Die Ideologie der Werbekörper, Berlin: Suhrkamp Verlag.
Sartre, Jean-Paul (2019): Der Existentialismus ist ein Humanismus, Wroblewsky, Vincent von (Übers.), in: Sartre, Jean-Paul; Wroblewsky, Vincent von (Hrsg.): Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943 – 1948 (Jean-Paul Sartre, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Philosophische Schriften Bd. 4), 9. Auflage, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 145 – 192.
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