Stellungnahme zur Bundesstiftung Gleichstellung

Ruth E. Hagengruber, Leiterin des Centers, ist als Sachverständige für die Bundesstiftung Gleichstellung beim deutschen Bundestag geladen.

 

 Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des „Gesetzesentwurfs zur Errichtung der Bundesstiftung Gleichstellung“

der Fraktionen der CDU/CSU und SPD am 12. April 2021, 16 Uhr (BT-Drs.19/27839) im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages, Sitzungsleitung Sabine Zimmermann

Prof.in Dr.in Ruth Edith Hagengruber, Universität Paderborn

Vorbemerkung
Problemfeststellung & Ziele der Stiftung: Transformation unterstützen Die Stiftung und ihre Organe: ExpertInnenwissen bündeln

Vorbemerkung

Die Förderung und Durchsetzung der Gleichberechtigung ist mit dem Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes zugesichert, doch seit vielen Jahrzehnten nicht erfolgreich umgesetzt worden. Wie kann die mit diesem Gesetzesentwurf anvisierte Bundesstiftung Gleichstellung diese Ziele fördern? Der vorgelegte Entwurf agiert zurückhaltend in den Zielen und schwankend in deren Umsetzung. Er pendelt zwischen den Aufgaben eines Ausschusses, eventuell sogar eines Staatsministeriums und einer Stiftung. Da dieser Vorschlag auf eine Stiftung geht, sollen die hier angeführten Bemerkungen dazu ausführlicher Stellung beziehen, doch auch die anderen Aufgaben, und die notwendige Abgrenzung dazu, erwähnen. Im Mittelpunkt des Gesetzesentwurfs steht die Einrichtung einer Stiftung, die eine beratende Funktion für die Politik übernehmen und den Transfer von Wissen zur Umsetzung der „Gleichstellung“ in die Politik gewährleisten soll. Nach der hier dargelegten Expertise kann dieses Ziel mit diesem Gesetzesentwurf nur rudimentär realisiert werden; wichtige Aspekte, die in einer Stiftung genuin angesiedelt sein sollten, bleiben unberücksichtigt, bzw. sind nur sekundär bedacht.

Aus wissenschaftlicher Expertise der Genderforschung ist dieser Entwurf für die anvisierten Ziele zu ergänzen. Dazu gehören:
o Wahrnehmung der Aufgaben zur Bestimmung des Transformationspotentials, in Gesellschaft, Wissenschaft und Ökonomie durch transsektionale Expertise
o Aufklärung über die historische Ausgrenzung und Verwehrung der Gleichberechtigung, und damit verbunden die Bereitstellung von Material zur
o Revision der kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Narrative.

Es wird daher vorgeschlagen, den Entwurf um diese Inhalte zu ergänzen.

Problemfeststellung & Ziele der Stiftung: Transformation unterstützen

o das „Frauenmodell“ des vorliegenden Entwurfes
o die Notwendigkeit, Transformation zu bestimmen
o die Notwendigkeit, Wissenschaft und Forschung mit einzubeziehen
o Die Stiftung als Koordinatorin von Wissenschaft und Gesellschaft

a) Das „Frauenmodell“ des vorliegenden Entwurfes

Das „Frauenmodell“ des vorliegenden Entwurfes kann nicht die Leitfigur dieser Stiftung sein. Das Leitbild muss sich am Leitbild der Geschlechtergerechtigkeit des 21. Jahrhunderts definieren. Frauen als „Kümmerinnen“ reproduzieren das Frauenbild der siebziger Jahre. Die Problematik reicht weit über diese Modelle hinaus.

b) Die Notwendigkeit, Transformation zu bestimmen

Die Transformation einer hierarchisch gegliederten und männlich dominierten Gesellschaft in eine geschlechtergerechte Gesellschaft wird alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft verändern, Kultur, Wissenschaft, Politik, Ökonomie, Geschichtsschreibung, Bildungsinstitutionen, etc. Diese Stiftung soll die Transformation unterstützen, Vorgaben erarbeiten und für politische und gesellschaftliche Institutionen beratend zur Verfügung stehen. Ihren Aufgaben sind: Beratung auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise organisieren, heißt: Ziele für die Zukunft definieren, vergangene Missachtungen aufdecken und die Öffentlichkeit über die Entwicklungen informieren und die Gesellschaft in diese Prozesse einbinden.

c) Die Notwendigkeit, Wissenschaft und Forschung mit einzubeziehen

Die Stiftung ist eine geeignete Institution, den seit Jahrzehnten in Deutschland bereitgestellten und öffentlich geförderten wissenschaftlichen Sachverstand zu bündeln. Diese Expertise existiert bereits in den entscheidenden Disziplinen. Es gibt ausgereifte gender-reflektierte Forschung zur Ökonomie (Makro- und Mikro), zur Technik, zu Kunst und den Kulturwissenschaften, zur Ideen- und Wissenschaftsgeschichte, zu Gesundheit und Medizin, zur Jurisprudenz, zu alternativen Ideen in der Agrar- und Umweltwissenschaft, um nur die bedeutendsten Gebiete zu benennen, die seit Jahrzehnten einschlägige Literatur vorlegen. Sie haben längst die Nachteile einer nicht geschlechtergerechten Gesellschaft analysiert und ihre Vorteile präsentiert. Ihre Expertise ist die Grundlage der Kompetenz der Stiftung. Die Stiftung sammelt und strukturiert diese Informationen, um auf diese Weise eine erfolgreiche Beratung der Politik und die Umgestaltung gesellschaftlicher Veränderungen aufzubereiten.

d) Die Stiftung als Koordinatorin von Wissenschaft und Gesellschaft

Die Stiftung agiert als Interessenvertreterin zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter. Um erfolgreich zu agieren, und Zukunftsvisionen zu entwickeln, ist es unabdingbar, auch die gesellschaftlichen Narrative der Missachtung der Gleichberechtigung aufzudecken. Die wissenschaftliche Expertise geht in ihrem Vorhaben der Gestaltung der Zukunft mit der Revision der Vergangenheit einher. Wenn Deutschland sich weiter entwickeln soll, müssen neue Ziele definiert und damit die alten Narrative einer Revision unterzogen werden. Die Narrative unserer Kultur-, Ökonomie- , und Wissenschaftsauffassung müssen kritisch zur Diskussion gestellt und wo erforderlich, revidiert werden. Wie soll sich eine Technik- und Wissenschaftskultur, eine Ökonomie, die Kultur- und Bildungsgeschichte überhaupt verändern, wenn nicht die Fehler und Ausschlüsse der Vergangenheit aufgearbeitet werden. Auf diesem Gebiet wartet ein erheblicher Aufgabenumfang auf die Stiftungsarbeit. Die kulturellen Grundlagen, die wissenschaftlichen Fehlinterpretation, die ideellen geschlechterfeindlichen und nicht-inklusiven Unterdrückungsmechanismen müssen freigelegt werden. Wie sollen Inklusion und  antirassistisches und antidiskriminierendes Verhalten gelernt werden, wenn weiterhin Kant und Nietzsche als kulturelle Protagonisten unsere Bildungsinstitutionen prägen, während kritische Denkerinnen, wie Luise Gottsched und Hannah Arendt allenfalls als Feigenblätter einer alternativen Kultur präsent sind? Wenn wir in den Schulen vermeintlich Demokratie lehren, aber doch nur die Dominanz des männlichen Erfindergeistes propagieren, wird die Umsetzung der Gleichberechtigung ohne Wurzeln sein und sich nicht verwurzeln lassen. So sollte neben der wissenschaftlichen Ergänzung der Stiftungsarbeit auch die Öffentlichkeitsarbeit wesentlich deutlicher im Profil der Stiftung erscheinen.

Fazit:

Der vorgelegte Entwurf berücksichtigt die bisher geleisteten Ergebnisse von Wissenschaft und Forschung nicht ausreichend. Überdies sollten die Vermittlungsfunktionen zwischen Politik, Wissenschaft, und Öffentlichkeit erheblich stärker in das Gremienmodell eingebunden werden. Für all diese Ziele ist es unabdingbar, dass die Stiftung als unabhängige Schnittstelle handelt. Ihn ihr sollen bestehende wissenschaftliche und gesellschaftliche Kompetenzen gesammelt und strukturiert werden. Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Gremien sind daher strukturell zu überdenken. Diese Stiftung kann sich als ein wichtiger Think Tank etablieren, der die Ergebnisse der Forschung bündelt, auswertet, Zukunftsentwürfe entwickelt und einen Ort für die Erfahrungsgeschichte und die Revision der Geschichte bereitstellt. Sie muss die Kraft der Zukunft und die Effizienz einer geschlechtergerechten Gesellschaft vermitteln können und die Fehler der Vergangenheit aufzeigen. Diese Stiftung wirkt in die Zukunft, wenn sie diese Aufgaben wahrnehmen kann, und auf diesem Wege eine partizipative, inklusive Lebenswirklichkeit mit bestimmt und Maßnahmen zu ihrer Erreichung vorschlagen kann. Sie agiert als Vermittlungsstelle innovativer Forschung und gesellschaftlicher Umsetzung, um in enger Kooperation mit diesen Bereichen den Transfer in diese partizipative und inklusive Zukunft zu gestalten. Die Stiftung muss in ihren Entscheidungen frei sein.

Die Stiftung und ihre Organe: ExpertInnenwissen bündeln §§ 3-9

o Unabhängigkeit der Stiftung, Relativierung der paritätischen Besetzung
o ExpertInnen in den Gremien
o konzeptionelle Öffentlichkeitsarbeit

§ 3: Kritik & Vorschlag: Ein Grundproblem aus ethischer Perspektive für das Funktionieren einer demokratisch eingerichteten Institution ist die Abhängigkeit von der kontrollierenden Behörde. Der vorgelegte Vorschlag lässt die Interessen der Weisungsbefugten mit denen der durchführenden Behörde konfligieren. Die Stiftung ist unabhängig und agiert in klarer Abgrenzung zu Ausschüssen und Ressorts. Da die Geschichte der Geschlechterdiskrimierung eine Opfergeschichte ist, erscheint eine paritätische Besetzung, auch wegen der mangelnden Expertise, derzeit nicht angebracht.

§5 Kritik & Vorschlag: Vorgeschlagen wird ein Direktorium von 3 Personen, um die skizzierten trans-sektionalen Aufgaben (Politik, Forschung, Öffentlichkeit) zu repräsentieren.

§6 Kritik und Vorschlag: Die für die Stiftung notwendige Unabhängigkeit sind durch die Besetzung von 10 Mitgliedern des Bundestages, dazu geschlechtsparitätisch (und weitgehend ohne Fachexpertise) nicht zielführend besetzt. Der Stiftungsrat sollte sich deutlich von einem Bundestagsausschuss abgrenzen, damit er unter anderem zur Beratung von Ausschüssen herangezogen werden kann.

§6,1: Vorgeschlagen werden 15 Mitglieder für den Stiftungsrat, davon 5 aus dem Bundestag, 10 aus ExpertInnengruppen. Die Bundesregierung sollte fünf Mitglieder in den Stiftungsrat entsenden. Darüber hinaus gehören dem Stiftungsrat zehn ExpertInnen an, die die transsektionalen Aufgabenbereiche der Stiftung wissenschaftlich vertreten können. Sie werden nach den Grundsätzen der Exzellenz und Expertise ausgewählt und bestimmt. Alle Mitglieder des Stiftungsrates bestimmen ihre Vertretung nach dem Grundsatz der Expertise.

§6,2: Im Sinne der Weisungsunabhängigkeit muss gelten: (Vorsitz und) Direktorium werden durch den Stiftungsrat vorgeschlagen und bestimmt. Der Stiftungsrat muss weisungsunabhängig sein, und seine Fachexpertise auf den genannten Gebieten vertreten. Nur so kann die Stiftung demokratisch, kompetent, sachorientiert beratend für die Politik und vermittelnd in die Öffentlichkeit tätig sein.

§6,3: Die fünf Mitglieder des Stiftungsrats, die von der Bundesregierung entsandt werden, sollten fünf unterschiedlichen Ressorts angehören, so z.B. Justiz, Frauen, Umwelt, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft o.ä.

§ 7: Das Direktorium besteht aus 3 Mitgliedern. Dieses agiert hauptamtlich und wird auf Empfehlung des Stiftungsrats eingesetzt. Sie präsentieren ein möglichst umfassendes Spektrum an Kompetenzen. Die Leitung des Direktoriums rotiert.

§ 9: Der Stiftungsbeirat hat die Aufgabe, die im Stiftungsrat gefundenen Expertisen hinsichtlich der Umsetzung in die Gesellschaft zu tragen und diese entsprechend einzubinden.

§9.2: Ihm gehören ebenfalls 15 Mitglieder an,

Er besteht aus:

1. eine VertreterIn, die von der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen …. benannt wird (siehe Entwurf).
2. eine VertreterIn der Kommunen, die durch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände benannt wird (siehe Entwurf)
3. vier VertreterInnen aus der Zivilgesellschaft … (siehe Entwurf)
4. mindestens zwei VertreterInnen der Frauen-Spitzenverbände
5. Sieben VertreterInnen der Organisationen der o.g. transsektionalen Bereiche, z.B. des Juristinnen-, Ärztinnen-, Pharmazeutinnenverbands, des Verband der Ingenieurinnen, der Germanistinnen-, Künstlerinnen-, Philosophinnen-verband, etc. Die Mitglieder des Beirats benennen jeweils eine VertreterIn und wählen aus ihrem Gremium eine Vorsitzende. Eine solche Besetzung ist förderlich für die Öffentlichkeitsarbeit und unterstützt die Umsetzung der Ziele der Stiftung. Die übrigen Vorschläge bleiben unberührt.

 

Mehr Informationen zur Sachverständigensitzung zur Bundesstiftung Gleichstellung gibt es hier.

 

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