Ein Call for Papers von Hartmut Hecht, Klaus Prätor und Ruth Hagengruber, in einer Kooperation der Leibniz-Sozietät, Berlin und der Arbeitsgruppe Frauen in der Geschichte der Philosophie der Deutschen Gesellschaft für Philosophie. Die Ausschreibung ist für alle Interessierten offen und nicht auf Mitglieder der beiden Verbände beschränkt. Das Projekt soll in eine Buchveröffentlichung münden. Auf dem Weg dahin ist Mitte 2026 eine Tagung geplant.
Die Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften ist durch eine auffällige Asymmetrie gekennzeichnet, die darin besteht, dass sobald eine Theorie sich durchgesetzt hat, Vorläufer identifiziert werden, die oft die Bedingungen für eine Kopernikanische Wende in der Hand hatten und denen dennoch der entscheidende Schritt nicht gelungen ist. Umgekehrt gibt es eine solche Möglichkeit eher selten, und die Geschichte ist voll von Gelehrtenstreitigkeiten und Grundlagendebatten, die noch keinesfalls erkennen lassen, worin das zukünftige Resultat bestehen wird.
Man denke etwa daran – um ein Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte zu geben –, dass Hendrik Antoon Lorentz jene Transformationsgleichungen angegeben hatte, die bei Einstein zur Formulierung der speziellen Relativitätstheorie Anlass gaben und im Anschluss daran zu heftigsten Auseinandersetzungen führten. Auch Kants Kritik der reinen Vernunft war bei ihrem Erscheinen keinesfalls unumstritten, wie die Kontroverse mit Johann August Eberhard zeigt, und um noch ein eher aktuelles Beispiel zu nennen: In seinem Buch über die Philosophie des Geldes hat Georg Simmel bereits von der Entmaterialisierung des Geldes gesprochen, also von einer Tendenz, die heute allgegenwärtig ist, von ihm aber eher als problematisch angesehen wurde.
Der „Linguistic Turn“ der Philosophie, der sich, verbunden mit Namen wie Wittgenstein, Carnap, Ryle und Austin, über Wittgenstein und die Analytische Philosophie durchgesetzt hat, wurde in seinen wesentlichen Bestimmungsstücken bereits von Fritz Mauthner ausformuliert und von Vorläufern wie Hamann, Jacobi, Gruppe und May Müllerzumindest angedacht.
Diesbezüglich interessierende Fragestellungen lassen sich grob in subjektive und objektive unterscheiden. So waren Leibniz und Newton junge Männer, als sie die Mathematik mit dem Calculus revolutionierten. Leibniz war im Unterschied zu Newton zudem Autodidakt. Beide waren unabhängig davon in der Lage, die wissenschaftliche Problemlage unvoreingenommen wahrzunehmen, was sie nicht nur als Mathematiker Neuland betreten ließ. Es war eine Wahrnehmung, für die sich philosophische Reflexionen als grundlegend erwiesen.
Wir möchten mit unserem Projekt einladen, Beispiele für dieses Paradigma zu benennen, zu beschreiben und – wo möglich – die Gründe für solche Disproportionen zu analysieren sowie in diesem Zusammenhang der Frage nachzugehen, ob sich derartige Knotenpunkte der Philosophie und der Grundlagen der Wissenschaften möglicherweise bewusst – zumindest ein Stück weit – gestalten lassen. Dafür bieten sich Fallstudien an, die das Determinationsgefüge der Diskursentwicklung auf Begriffe bringen können und Strukturformen erkennen lassen, die den Vergleich mit Entwicklungen unterschiedlicher Disziplinen oder Theorien möglich machen.
Einsendung:
Wir bitten um ein Abstract von ca. 500–1000 Wörtern (ca. 2 Seiten) sowie eine Seite biographischer Angaben bis 28.02.2026 an: Klaus Prätor kpraetor@me.com
Hinweis: Eine Veranstaltung am 08.12.2025, der Arbeitsgruppe Frauen in der Philosophiegeschichte widmet sich diesem Thema, siehe hierzu: CFP Sie waren ihrer Zeit voraus.
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