#Mensch_Maschine_Musse Seminar: „Wozu noch selbst denken?“ von Jan Düwell

Ruth Hagengruber Seminar Winter 22_23 Mensch_Maschine_Musse:

„Wozu noch selbst denken?“ – Wie ChatGPT die Bildung verändern könnte von Jan Düwell

Was ist ChatGPT?

Die heutigen KI-Programme faszinieren bereits jetzt durch ihren eklatanten praktischen Nutzen und ihre einfache Bedienung, was zu einer steigenden Nachfrage nach Produkten und Anwendungen führt, die KI-Funktionen bieten (vgl. Kreienbrink 2022). Das vom Unternehmen
OpenAI im November 2022 veröffentlichte interaktive Sprachverarbeitungsmodell Generative Pre-trained Tranformer (ChatGPT) führt dieses Feld bislang jedoch an. Es ist kostenfrei und in einem einfach zu bedienenden textbasierten Dialogformat konzipiert (vgl. OpenAI 2022). Im Vergleich zu ähnlichen Programmen fällt es besonders durch die scheinbar unerschöpfliche Anzahl an Antwortoptionen, als auch durch die authentische Erscheinung der ausgegebenen Texte auf (vgl. Rotter 2022). Diese werden grammatikalisch korrekt, kohärent und unter Anwendung von Weltwissen wiedergegeben (vgl. Jawahar et al. 2020: 1). ChatGPT arbeitet mit der Deep Learning Methode, wobei es sich um mehrschichtige neuronale Netzwerke handelt, welche das Verhalten des menschlichen Gehirns imitieren, um aus großen Datensätzen zu lernen (vgl. Floridi und Chiriatti 2020: 684). Es ist darauf trainiert, Informationen aus dem Internet zu filtern, wie beispielsweise aus Wikipedia, Reddit, wissenschaftlicher Literatur oder Nachrichtenquellen (vgl. Jawahar et al. 2020: 4). Um diesbezüglich zuverlässige Texte zu generieren, berechnet das Sprachmodell die statistische Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Wortfolgen (vgl. Floridi und Chiriatti 2020: 684). Die aktuelle Version von ChatGPT arbeitet mit 175 Milliarden Parametern an Daten und wurde mit 570 Gigabyte an Texten trainiert, während die Vorgängerversion von 2019 mit nur 1,5 Milliarden Parametern und 40 Gigabyte an Texten trainiert wurde (vgl. Tamkin et al. 2021: 2), was die Leistungsstärke der aktuellen Version unterstreicht, als auch einen progressiven Anstieg für nachfolgende Generationen des Programms erahnen lässt. Es ist sogar davon auszugehen, dass derzeitig private und unveröffentlichte
Sprachverarbeitungsmodelle bis zu dreimal größer sein könnten (vgl. Goldstein et al. 2023: 19). Auf ihrer Website stellen die Entwickler von ChatGPT vor, wie ihr Sprachmodell Programmiercodes berichtigen, Antworten auf unangemessene Anfragen fundiert ablehnen, konkrete und geeignete Ausführungen auf minimal ausformulierte Anfragen bieten und zuvor gegebene Lösungen mit weiteren Instruktionen optimieren kann (vgl. OpenAI 2022). Darüber hinaus berichten Nutzer über weitere Anwendungsmöglichkeiten, wie das Schreiben von Gedichten (vgl. Klaiber 2022), das Programmieren von Text-Adventure-Games (vgl. Schesswendter 2022) oder das Verfassen von Kinderbüchern (vgl. Cho 2023). Die Individualität der Ergebnisse variiert jeweils mit den Details der Eingabeaufforderung. Gesellschaftliche
Einsatzmöglichkeiten lassen sich für die KI zudem noch weitere finden, wie beispielsweise im Kundendienst, dem Generieren von Handbüchern, dem automatisierten Dokumentieren medizinischer Krankenberichte und einiges mehr (vgl. Hutter 2023).

Gesellschaftliche Herausforderungen durch ChatGPT

ChatGPT stellt eine herausragende Technik dar, durch die eine beträchtliche Anzahl an Prozessen stark vereinfacht oder sogar übernommen werden kann. Daraus resultiert, dass sich Menschen zukünftig höher professionalisieren müssen, da viele Arbeiten vom KI-Programm übernommen werden können. Zwar bietet dies einen schnelleren Einstieg in komplexere Aufgaben, allerdings wird die Neuanpassung oder Umschulung zunächst besonders für Menschen mit nur geringen Qualifikationen, deren Tätigkeiten tatsächlich bereits von einer kommunikativen und textbasierten KI übernommen werden kann, eine erhebliche Herausforderung und Verunsicherung darstellen. Mit wachsender Kompetenz der KI wird dies allerdings immer mehr Menschen und Berufe betreffen. Die Fähigkeiten der aktuellen Modelle sind diesbezüglich als stetig steigende Untergrenze zu betrachten, die eine kaum zu prognostizierende Obergrenze erreichen könnten
(vgl. Goldstein et al. 2023: 19). Eine weitere Gefahr ergibt sich durch den Missbrauch dieser Programme, wie bei der massenhaften Generierung gefälschter Produktbewertungen in Online-Shops oder der Verbreitung von Spam, Propaganda und Fake-News (vgl. Jawahar et al. 2020: 3). Letzteres wird besonders dadurch ermöglicht, dass ChatGPT bei der Recherche mit Onlineressourcen ebenso auf Fehlinformationen zugreift, die vom Programm nicht als solche identifiziert und ausgesondert werden können (vgl. OpenAI 2022). Durch diesen Umstand werden Fake-News überzeugend-wirkend reproduziert und popularisiert. Außerdem ist die Datenbasis von ChatGPT veraltet und reicht nur bis in das Jahr 2021, wie das Programm auf Anfrage selbst bestätigt. Eine weitere Problematik ergibt sich durch den Zugriff auf urheberrechtlich geschützte Texte, welche in Phrasen in den generierten Texten durchscheinen können, was eine wichtige
Debatte um das Nutzungsrecht dieser Programme aufwirft (vgl. Lobe 2022). Sofern dieser phrasenhafte Wiedererkennungswert durch einen nachgebildeten Textstil jedoch verfeinert wird, stellt sich ebenso die Frage, inwieweit sich das Lernen an vorhandenen Texten zwischen Mensch und Maschine unterscheidet und inwiefern dies in den jeweiligen Fällen unterschiedlich reglementiert werden kann oder sollte (vgl. Cho 2023). Nichtsdestotrotz kann ein Programm wie ChatGPT die menschliche Kreativität zunächst nicht vollständig ersetzen. Das Programm kann dadurch, dass es mithilfe von Algorithmen aus einer großen Menge an Textkorpussen Relationen und Muster identifiziert, um daraus neue Texte zu generieren, nach Hagengruber (2017: 341) als kreativ denkend eingestuft werden. Diese Form der Kreativität stellt in Bezug auf Kant allerdings lediglich eine analytische dar, da aus bereits gegebenen Informationen assoziative und logische Schlüsse gezogen werden, wohingegen das Programm keine synthetische Form der Kreativität besitzt, wodurch es nicht dazu fähig ist, unkonventionelle sowie unbekannte Erkenntnisse und damit genuin Neues zu erschaffen (vgl. Eisler 1984: 559 ff.). Es recycelt lediglich vorhandene Ideen und wird uns in unserer Kreativität nur eingeschränkt entlasten können. Zudem kann das Programm insgesamt noch keinen schriftlichen Turing Test bestehen, bei dem der Interviewer die maschinellen Ursprünge der Antworten, die ihm in einem längeren Gespräch gegebenen werden, als menschlich missinterpretieren würde, da es dem Programm an semantischen Verständnis mangelt. Allerdings zeigen einzelne Sequenzen in diesem Bezug bereits bemerkenswerte Ergebnisse (vgl. Elkins und Chun 2020: 12), weshalb sich auch durch die aktuelle Leistungsfähigkeit von ChatGPT bereits erhebliche Schwierigkeiten für das Bildungssystem ergeben.

Herausforderungen für das Bildungssystem durch ChatGPT

In der Bildung besteht weniger die Forderung, grundlegend Neues zu erschaffen, als bekanntes und konstitutives gesellschaftliches Wissen anzueignen und zu reproduzieren. Aus diesem Grund kann ChatGPT durchaus eine einflussreiche Entlastung für Schülerinnen und Schüler, als auch Studierende darstellen, denn ebenso in Hochschulen besteht erst beim Verfassen einer Dissertation die Anforderung, einen neuen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten. Hausaufgaben und Referate als auch Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten könnten durch das Programm bald erheblich vereinfacht werden. Dennoch ist die frühe Förderung von autonomen Lernstrategien besonders bei Lernenden der Sekundarstufen entscheidend. Spezifische Aufgabenlösungen, Textzusammenfassungen oder informative und kreative Texte können durch ChatGPT in Sekundenschnelle mühelos und unkompliziert übernommen werden, womit es als kostenloser, schneller und häufig verfügbarer Ghostwriter fungieren kann. Ob sich die Lernenden an solch einem Angebot bedienen, hängt durchaus von der individuellen Lernhaltung ab, allerdings können Aspekte, wie der steigende, kompetitive Leistungsdruck durch Noten oder der Fokus auf das Ergebnis eines Lernprozesses, antreibende Faktoren für die Nutzung sein. Für die Leistungsbewertung stellt sich zunächst die Frage, wie die Ergebnisse der KI nachgewiesen werden können. In Studien identifizieren Menschen die Texte der KI beispielsweise nur zufallsbedingt (vgl. Jawahar et al. 2020: 3). Zwar ist die Forschung an Detektoren, welche zum Identifizieren der von Maschinen erzeugten Texte verwendet werden, im vollen Gange, allerdings sind ihre Erfolgsquoten bislang schwankend und ihre Entwicklung aufwendig. Gleichzeitig entwickeln sich auch die Textgeneratoren weiter und so werden statistisch auffällige Anomalien, wie beispielsweise das signifikant hohe Aufkommen bestimmter Begriffe, im Lernprozess zunehmend überwunden. Je effizienter eine menschenähnliche Schreibweise erlangt wird, desto erschwerter wird die Klassifikation zwischen einem menschlichen und einem maschinellen Text (vgl. Jawahar et al. 2020: 6 ff.). Statt lediglich als Quelle zu fungieren, kann ChatGPT die Nutzer somit bereits mit einer überwiegend individualisierten, zweckmäßigen und kaum zurückzuverfolgenden Version eines Textes ausstatten. Und falls doch die Möglichkeit besteht, dass sich die spezifisch von ChatGPT generierten Texte zu sehr ähneln oder doch identifiziert werden könnten, können die Lernenden diesem Umstand durch eigene Paraphrasierung entgehen, wobei ChatGPT weiterhin einen maßgeblichen Anteil beim Planen, Recherchieren und Strukturieren einzelner Texte abnimmt. Außerdem lassen sich im Internet auch für Paraphrasierungen weitere kostenfreie KI-Programme finden, welche die vorherige KI-Quelle erfolgreich verschleiern können. Die moderne Technik revolutioniert und perfektioniert dementsprechend das Abschreiben, was unterstreicht, dass
Lehrende für den technischen Umfang dieser Herausforderung sowie für angemessene Maßnahmen sensibilisiert werden müssen.

Umgang mit ChatGPT in der Schule

Entscheidend ist, dass sich das Bildungssystem zeitnah adäquat anpasst. Hausaufgaben bieten selbstständige Übungsgelegenheiten, den Lernbedarf außerhalb der begrenzten Unterrichtszeit zu decken. Um den wachsenden Einfluss von entlastenden Programmen sowie die damit einhergehende potenzielle Unwirksamkeit von Hausaufgaben zu kompensieren und konstante Lernfortschritte zu garantieren, sind häufigere Erfolgskontrollen nötig. Lehrende werden sich daraus folgend zukünftig mit kreativen Alternativlösungen des Leistungsnachweises in Präsenz auseinandersetzen müssen, um weiterhin einen dynamischen und motivierenden Unterricht gestalten zu können, dessen Prüfungsmodalitäten nicht nur auf Klausuren oder mündliche Prüfungen beschränkt sind. Es bietet sich beispielsweise an, mit kooperativen und kollektiven dialogischen Lernprogrammen zu experimentieren, die mit einer Wissensabfrage kombiniert werden. Auch eine fundierte Anschlusskommunikation über die Recherche, Gestaltung und den Inhalt eines zuvor geschriebenen Textes könnte eine geeignete Leistungsüberprüfung trotz des Vorhandenseins der KI darstellen. Als weitere Konsequenz verbannen einige Schulen ChatGPT bereits aus ihren Netzwerken, um den Einsatz des Programms auf dem Schulgelände forciert zu verbieten, da es die Entwicklung des kritischen Denkens und der Problemlösungskompetenz hemmen könnte (vgl. Rosenblatt 2023). Diese Kritik ist vor dem Hintergrund der fehlenden Anpassungen durchaus berechtigt, jedoch können Verbote keine langfristig wirkungsvolle Lösung sein. Verbote dürfen nicht als letztes Mittel gegen den institutionellen Kontrollverlust verwendet werden, um einen obsoleten Status Quo aufrechtzuerhalten. Praktikable KI-Programme werden den Alltag der Lernenden zunehmend bereichern und auch das Bildungssystem ist nicht hermetisch von diesen Umständen getrennt. Eine geordnete Übergangsphase der sukzessiven Akklimatisierung und Integration ist dennoch für alle Schulbeteiligten bedeutsam, um neue Methoden und Inhalte probat zu evaluieren. Allerdings wird es in Zukunft essenziell sein, dass, je präsenter und einfacher Gegenmaßnahmen zum Lernen erscheinen, die Lernenden auch umso stärker intrinsisch motiviert werden müssen, um eigenständiges Lernen weiterhin anzuregen. Die Schülerinnen und Schüler sollten problemorientiert und selbstreferentiell in die Diskussion der Herausforderungen technischer Innovationen integriert werden. Diese Debatten können wirkungsvoll von den individuellen Erfahrungen der Lernenden mitgeprägt werden. Die Dynamik des technischen Wandels wird sich zunehmend beschleunigen und einen integralen Bestandteil im Leben der Lernenden darstellen, weshalb Lehrende für diese Thematik aufgeschlossen sein sollten. Zudem könnte die KI die Lehrkräfte zukünftig beim Erstellen von Prüfungen und dem Korrigieren der Lösungen unterstützen, als auch die Schülerinnen und Schüler während des privaten Lernprozesses fördern, ohne das Lernen selbst zu verdrängen. So könnte sie im Lauf der Entwicklung beispielsweise individuelle Grammatikübungen generieren und korrigieren sowie etwaige Fehler kompetent erläutern. Zwar sehen solche Ergebnisse von ChatGPT bislang oberflächlich gut aus, sind inhaltlich allerdings kaum sinnvoll, da das Programm noch nicht für solche Aufgaben durch spezielle Datensätze trainiert wurde, was dennoch eine überwindbare Hürde darstellt. Innerhalb der Kompetenzziele sollte die Bedienung von KI-Hilfsmitteln und ebenso ein kritischer Umgang mit diesen, ihren Quellen und Ergebnissen künftig konkrete Berücksichtigung finden, um
die Lernenden konstruktiv und lebensgerecht auf ihre Zukunft vorzubereiten. Zudem muss langfristig reflektiert werden, wie und welches Wissen wir noch an unsere Schülerinnen und Schüler weitergeben, wenn eine KI dieses bald ohne Verlust und Aufwand konservieren und in vielfältiger Form unmittelbar wiedergeben könnte. Die KI könnte uns die Chance bieten, den Unterricht deutlicher dem kreativen und forschenden Schaffensprozess zu widmen, der sich stärker von standardisierten Grenzen im Bildungssystem lösen kann. Daraus könnten zudem die neuen Inhalte resultieren, die wir darauffolgend an unsere KI weitergeben können.

Fazit

Letztlich ist zu sagen, dass ChatGPT in kürzester Zeit exemplarisch verdeutlicht hat, wie schnell einzelne Teile der Gesellschaft von technisch herausragenden Neuschöpfungen überwältigt werden können, was in scheinbar aussichtslosen Konsequenzen für diese Bereiche mündet. Die maschinellen Innovationen der Zukunft werden in diesem Moment entwickelt, was die Bedeutsamkeit des präventiven Debattierens über hypothetische Auswirkungen und einen adäquaten Umgang mit diesen unterstreicht, um institutionelle Handlungsfähigkeiten langfristig
und zweckdienlich gewährleisten zu können. Speziell das Bildungssystem muss sich in einer steigend automatisierenden Welt zeitnah anpassen, da ChatGPT beispielhaft bereits mit dem derzeitigen Leistungsstand eine erhebliche Herausforderung darstellen kann. ChatGPT sollte jedoch aktiv und konstruktiv thematisiert, statt unreflektiert verboten werden. KI wird das Lernen als auch das Lehren maßgeblich verändern und ein signifikanter Bestandteil im Leben der Schülerinnen und Schüler sein und bleiben. Deshalb muss sie frühzeitig im Unterricht Berücksichtigung finden, um zukünftig weiterhin eine mündige und kritische Lebensführung der Schülerinnen und Schüler garantieren zu können. Besonders mit Blick auf künstliche Intelligenzen, welche die Schularbeiten der Lernenden in Sekundenschnelle eindrucksvoll übernehmen können, ist es bedeutsam, zeitgemäße und kreative Alternativen zur Sicherung des Lernfortschritts auszutesten. Ein Schulsystem, welches diesbezüglich nicht ausreichend Anpassungs- und Überzeugungsarbeit leistet, wird den Lernenden gegenüber irgendwann in Erklärungsnot geraten, wozu sie noch selbst denken sollen.

Literatur
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Eisler, Rudolf (1984). „Urteile, analytisch und synthetisch“, Kant-Lexikon, Hildesheim –Zürich – New York: Georg Olms Verlag, S. 559-563.

Elkins, Katherine und Chun, Jon (2020). Can GPT-3 Pass a Writer’s Turing Test?, Ohio: Kenyon College. DOI:10.22148/001c.17212.
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Tamkin, Alex; Brundage, Miles; Clark, Jack und Ganguli, Deep (2021). Understanding the Capabilities, Limitations, and Societal Impact of Large Language Models, Standford University. https://doi.org/10.48550/arXiv.2102.02503.

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